Werkverträge – von der Ausnahme zur Regel

logo_werkvertragInnerhalb des deutschen Industriesektors ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Arbeitnehmern entstanden. Die einen haben gute Arbeitsbedingungen, bei der Beschäftigung der anderen gelten fast keine Mindeststandards. Sie arbeiten länger, verdienen weniger und haben viel weniger Rechte.

Kosten senken bei maximaler Flexibilisierung und minimalem Risiko – auf diese einfache Formel lassen sich die Vorteile für die Firmen beim Einsatz von Beschäftigten mit Werkvertrag bringen. Personal wird wie Ware eingekauft, teilweise im Internet ersteigert. Soziale Verantwortung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestenfalls ausgelagert. Für die Beschäftigten bedeutet ein Arbeitsvertrag bei einem industriellen Dienstleister vor allem: deutlich niedrigeres Einkommen, höhere Arbeitszeiten und den weitgehenden Verzicht auf Sozialleistungen. Dazu kommt, dass diese Firmen in vielen Fällen keine Betriebsräte haben.

Schwerpunkte in den exportstarken Industriebranchen

Empirische Erhebungen der IG Metall zeigen, dass die Einsatzschwerpunkte von Werkvertrags-Beschäftigten in den innovativen, exportstarken Industriebranchen liegen. Dazu zählen zum Beispiel die Automobilindustrie – hier sowohl die Endhersteller als auch die Zulieferer, die Luft- und Raumfahrtindustrie, die Werften sowie die Stahlindustrie.

In einer Betriebsrätebefragung hat die IG Metall Strukturen und Entlohnung der Branchen analysiert. Demnach stehen in der Automobilindustrie den 763 000 Stammbeschäftigten 100 000 Leiharbeitskräfte und 250 000 Werkvertragsbeschäftigte gegenüber. Das entspricht einem Verhältnis von fast 2:1. In der Stahlindustrie stehen 19 000 Werkvertragsbeschäftigte und 2 100 Leiharbeiter gegenüber 61 000 Festangestellten. Im Schiffbau arbeiten 16 800 Menschen fest, aber 2700 Menschen für Leih- und 6500 Menschen für Werkvertragsfirmen. Ebenso in der Luftfahrtindustrie: Dort gehören 72 400 Menschen zur Stammbelegschaft, aber 10 000 Menschen arbeiten als Leihbeschäftigte und weitere 10 000 Menschen sind über Werkvertrag beschäftigt.

Das bedeutet für die gesamte Branche der Metall- und Elektroindustrie und die unmittelbar an die Wertschöpfungskette angrenzenden Branchen: Fast ein Drittel der Beschäftigten arbeiten in Leiharbeit und Werkverträgen.

Ursprünglich wurden Beschäftigte mit Werkvertrag vor allem im Bereich niedrig qualifizierter Dienstleitungen, etwa in den Kantinen und beim Werkschutz eingesetzt. Auch für vergleichsweise eng umrissene Aufgaben wie den Gerüstbau oder die EDV nahm man gerne externe Dienstleister in Anspruch. Dieses Bild hat sich heute total gewandelt. In den Unternehmen sind teilweise tausende von Arbeitnehmern damit beschäftigt, Produktions- oder industrienahe Dienstleistungen zu erbringen. Auch externe Ingenieure werden gerne eingesetzt, entweder direkt in den Büros der Einsatzunternehmen oder bei spezialisierten Dienstleistungsunternehmen, die oft ganz in der Nähe angesiedelt sind. In der Automobilindustrie kann man davon ausgehen, dass rund die Hälfte der Entwickler bei Fremdfirmen beschäftigt sind. Da diese besonders eng mit den Stammbeschäftigten zusammen arbeiten müssen, ist hier von einer hohen Anzahl von Scheinwerkverträgen auszugehen.

Jahresumsatz 16,5 Milliarden Euro

Laut Berechnungen der IG Metall machen die 46 größten Unternehmen unter den industrielle Dienstleistern derzeit einen Jahresumsatz von 16,5 Mrd. Euro. Sie haben 340 000 Beschäftigte, die meist zu weitaus schlechteren Bedingungen als ihre Kollegen in den Einsatzbetrieben arbeiten. In aller Regel unterliegen ihre Arbeitgeber keinerlei Tarifverträgen. In der Folge verdienen sie für Produktionstätigkeiten nicht selten um 30 bis 50 Prozent weniger als die Stammbeschäftigten des Einsatzbetriebes. Die Arbeitszeit ist durchweg länger als es die Tarifverträge vorsehen, es gibt keine Sozialleistungen wie betriebliche Altersversorgung, vielfach auch keine Betriebsräte.

Nicht nur in der Produktion sind die Arbeitsbedingungen für Werkvertragsarbeitnehmer schlecht. Auch für Ingenieure und hochqualifizierte Spezialisten liegen die Entgelte bis zu 30 Prozent unter dem Niveau der Stammbelegschaften. An sie werden zudem außerordentlich hohe Flexibilitätsanforderungen im Hinblick auf Arbeitszeit, Arbeitsinhalte und Arbeitsplatzwechsel gestellt.

Teilweise gesetzwidrige Arbeitsbedingungen

Unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit ist innerhalb des deutschen Industriesektors eine Zwei-Klassengesellschaft entstanden. Die einen haben gute Arbeitsbedingungen, die anderen deutlich schlechtere, teilweise sogar gesetzeswidrige Arbeitsbedingungen. Und beide arbeiten Hand in Hand, zum Teil auf der selben Montagelinie oder Schreibtisch an Schreibtisch.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte sind für die Belegschaften in der gesamten Wertschöpfungskette zuständig. Ziel ist es, faire Arbeit für alle Beschäftigten sowohl in den Einsatz- als auch in den Dienstleistungsbetrieben schaffen. Dazu soll in den Einsatzbetrieben die weitere Auslagerung von Produktions- und Dienstleistungsfunktionen weitgehend verhindert werden. Dort wo dennoch ausgelagert wird, sollen die Bedingungen, etwa Tarifbindung oder die Etablierung von Mitbestimmungsstrukturen, geregelt werden.

Vertretung durch die IG Metall ausbauen

Für die Dienstleistungsbetriebe hat sich die IG Metall vorgenommen, die Wahl von Betriebsräten voranzutreiben und möglichst viele Beschäftigte für die IG Metall zu gewinnen und eine starke Vertretung zu sichern. In der Folge können der Abschluss von Betriebsvereinbarungen zur Regelung von Werkverträgen und die Herstellung der Tarifbindung in Angriff genommen werden.

Vom Gesetzgeber fordert die IG Metall eine Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes wonach Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates auch bei Werksvertragseinsatz gelten müssen. Überdies ist eine bessere Abgrenzung von Werkvertrag und Leiharbeit erforderlich um die Rechtsfolgen von Schein-Werkverträgen präzisieren zu können.